<$BlogRSDUrl$>

Um was geht's hier? Berichte und Photos von meinem Aiesec-Praktikum 2003 bei Vigorsoft in Baroda (Gujarat, Indien).
Die Photos finden sich unter dem links rechts.
Und wen mein ganzes Geschreibsel interessiert, der klickt auf die "archive"-links am rechten Rand oben; auf der Hauptseite erscheint nur der aktuelle Monat.

15 Oktober 2003

[Waehrend der Woche angesammelt]

War neulich bei einem indischen festival nicht in der kurta, sondern in jeans und tshirt; auf die Frage, warum ich keine indischen Klamotten anhab hab ich entgegnet "ich hab indische klamotten an: das 5-euro-h&m-tshirt is hoechstwarhscheinlich in Indien produziert".
Die haben hier eine grosse Fabrik, sind angegriffen worden, weil sie Kinderarbeit verwenden. Ein europaeischer Fernsehjournalist hat darueber eine Dokumentation gedreht, und ist zu dem Schluss gekommen, dass es fuer die Kinder besser ist, zu arbeiten: bei h&m lernen sie nachmittags lesen und schreiben, handwerkliche skills, haben medizinische Versorgung etc.
Und selbst bei einer indischen Firma ohne solche Sozialstandards und mit gefaehrlichen Taetigkeiten stellt Arbeit zumindest sicher, dass sie was zu essen haben. (Und gefaehrlich ist vieles hier, Simon's chef hat ihm z.B. die Produktion gezeigt und war ganz stolz auf die Verwendung des high-tech materials Asbest...)
Ich glaube, man muss hiergewesen sein, um das zu verstehen, aber Kinderarbeit abschaffen zu wollen ist blauaeugig: die Alternative zum arbeiten ist fuer viele Kinder hier halt *nicht* in die Schule zu gehen, sondern auf der Strasse zu schlafen und zu hungern.
Das Problem ist nicht, dass es keine Schulen gaebe und die Kinder gezwungen waeren zu arbeiten, sondern dass es fuer viele Inder einfach ein unbezahlbarer Luxus ist, nicht fuer den Lebensunterhalt arbeiten zu muessen und stattdessen die Zeit mit Lernen verbringen zu koennen.
Nur ein Beispiel dafuer, wie schwierig es ist, mit Entwicklungsarbeit mehr gutes zu tun als kaputtzumachen, und wie ahnungslos man bezueglich der Verhaeltnisse in einem Entwicklungsland in Europa ist.


Haben wieder ein paar neue praktis, nachdem wir in den letzten wochen auf 15 leute oder so stark dezimiert wurden: christoph aus deutschland (gestern zum ersten mal gesehen, ersteindruck: bisschen merkwuerdig, typ akademisch-intellektueller soziologiestudent, hoert tocotronic, liest sartre und sowas), silke (auch aus deutschland,kein aiesec-trainee, aber arbeitet wie francois und matthias bei L&T, sollte urspruenglich in Ellora 5 wohnen, ist aber kurz nach der Ankunft wieder gefluechtet, wohnt jetzt erst mal im Hotel...).
Dazu noch Andry aus Venezuela, der war am Wochenende schon mit in Ahmedabad, ist echt nett, aber redet zuviel :)


Gestern haben frauke und ich die deutschland-praesentation in la casa gehalten, war aufgrund zeitmangels zur Vorbereitung etwas undeutsch chaotisch, aber ganz gut.
Hab eine (von einer CD von Frauke's LC kopierte) Praesentation gehalten (hatte keine Zeit mehr, sie vorher selber anzuschauen, nachdem mein pc den Temperaturwechsel von aircon-office zu heisser traineeflat offenbar schlecht vertragen und ertmal das display gestreikt hat, deshalb etwas chaotisch, aber lustig),
dann frauke eine session zur dt. Wiedervereinigung, dann ein Spielchen mit wahren oder erfundenen Fakten ueber Deutschland (wer richtig raet bekommt Gummibaerchen), und dann einfach eine Slideshow mit Bildern von Deuschland, die ich wahllos aus dem Internet runtergeladen hab laufenlassen, und dazu deutsche Musik (Aerzte, Hosen, Fanta4, Groenemeyer - und bayerischer Defiliermarsch, sauba sogi!) und deutsches Essen (Eintopf, Hagebuttentee, Gummibaerchen, Pumpernickel mit Leberwurst, Jaegermeister).


Irgendwie kommt man immer nur zur Haelfte der Sachen, die man eigentlich machen moechte; zum einen dauert alles etwas laenger, funktioniert anders oder gar nicht etc; zum anderen hat man unter der Woche halt relativ wenig Freizeit.
Diese Woche: Montags zum Bahnhof wegen Fahrkarten, dann ins Internetcafe zum Infos suchen fuer die german presentation; Dienstags nach der Arbeit nach Galaxy, mit Frauke presentation vorbereitet, dann trainee council meeting, dann noch mit den aiesecern gequatscht, halb elf heim und ins Bett; Mittwoch nach der Arbeit nach La Casa, presentation vorbereitet und gehalten, zusammengesessen bis elf. Donnerstag zum Schneider, meine Hosen abholen, dann nach la casa, um den diu-trip mit den anderen zu planen, dann internet cafe zum emails schreiben. Freitags Diskussionsabend der baroda management association.
Freu mich wirklich auf mal wieder einen ruhigen Abend daheim, nur kochen, essen, auf der couch liegen, musik hoeren und lesen.

Zitat aus dem tagebuch eines anderen praktis: " Inder glauben an ihre Wiedergeburt auf der Erde, und so fahren sie auch."

Heute in der Zeitung kurzer Bericht ueber einen Ausbruch von dengue-fieber, aber sowas gibt's oefter, ist eigentlich zu langweilig um es festzuhalten. Ist auch kein so grosses Problem, es gibt schon auch z.B. Malaria, aber nur in Einzelfaellen.

Totally random fact (zufaellig auf einer website gefunden, fand ich irgendwie faszinierend:
I've been told (by a Babylonian scholar) that there are more people alive today who can read and write Babylonian cuneiform than at any other time in history.
When it was a living language, the world's population was tiny and the literacy rate microscopic. The literate of ancient Babylon are far outnumbered by the linguistics undergraduates who study cuneiform today.



[Samstag mittag]

Juhuu, noch vier Stunden bis zum (wohlverdienten!) Wochenende! War heute ueberhaupt recht relaxt, nachdem ich erst mal etwas zu spaet gekommen bin (Arbeitsbeginn ist eigentlich fix und mit per computer abgefragter Stechuhr um punkt acht, nachdem man aber "in seltenen Faellen" ohne Konsequenzen um acht uhr zehn kommen kann, kommen alle um kurz vor zehn nach, un haengen dann erst mal noch etwas rum. Und wenn man vier mal im monat zu spaet kommt verliert man einen halben Tageslohn, deshalb machts abgesehen von einem schlechten Eindruck nichts, wenn man ein bisschen zu spaet kommt, man zahlt ja dafuer. Aber andererseits hat das so-gut-wie-garnichts-verdienen den Nebeneffekt, dass der verlorene halbe Tageslohn umgerechnet 1,80 euro oder so ausmacht, pfft.
Dann um neun erstmal Fruehstueckspause, und um halb zehn ist wie auf Bestellung der Strom ausgefallen, bis um zwoelf, bin also erstmal zu crosswords (Buchladen) um die Ecke.
Ein ganzer Stapel Buecher fuer nicht mal dreissig euro...


Aber mittlerweile gefaellts mir in der arbeit eigentlich ganz ordentlich, nachdem ich letzte Woche so genervt von dem ganzen war dass ich mir ueberlegt habe, wann ich's hinschmeissen soll. Das einzige was mich davon abgehalten hat war, dass ich nicht einfach so aufgeben wollte; Indien oder ich, da bin ich doch wohl immer noch staerker :-)
Aber in das schlechte management, die langen Arbeitszeiten usw muss man sich einfach einleben, und eigentlich ist's ja nicht schlecht was ich in der Firma so machen darf. (Achtung,buzzword-gefahr: mach gerade als trainings-projekt ein mvc-web application-framework in servlets und jsp's, mit jdbc-Datenbankanwendung uebers Netzwerk, jsp-custom tags und javaBeans-komponenten, bei voller Ausnutzung der produktivitaets-enhancing features der dreamweaver- und eclipse-IDEs (so ungefahr wirbt vigorsoft fuer sich). In real-und-unspektakulaer heisst das: ein paar Seiten fuer ein webshop.


Gestern bei der baroda management association einen fuer indische Verhaeltnisse sehr modernen Vortrag ueber employee relationships, motivation etc gehoert; nicht viel neues, aber die Reaktionen des Publikums (ein paar Studenten, zum groessten Teil aeltere Manager) auf Themen wie Hierarchieverflachung, Gruppenarbeit etc waren interessant. Einer der Zuhoerer hat zum Beispiel mal unglaeubigf gefragt, ob er das richtig verstanden hat: mit Gleitzeit kann doch wohl nicht gemeint sein, dass ausserhalb der Kernarbeitszeit jeder kommt und geht wann er will, das heisst doch sicher nur, dass man sich aussucht, welche Schicht man arbeitet, oder?


An einem Haus vorbeigekommen, das gerade abgerissen wird; in Indien benutzt man dazu nicht etwa Maschinen, sondern ein paar Leute, die auf der meterhohen Mauer schmalen balancieren und mit Haemmern die Steine unter sich rausschlagen...
Zitat, keine Ahnung woher: "the whole fucking subcontinent is like Disneyland without any safety measures"




[Sonntag nachmittag]

Nachdem ich gestern nach der Arbeit doch ziemlich platt war, hab ich heute einen sehr gemuetlichen Tag genossen, mit fast bis zehn schlafen, fruehstuecken (papaya, sittafal und chai), eonomist lesen (den gibt's hier, wenn auch teuer), Postkarten schreiben, Hindifilm-soundtrack hoeren (es gibt auch gute), den Affen auf dem Dach gegeueber beim lausen zusehen (einfach suess).

Hatte leichten Heimweh-Anfall, was eigentlich ueberhaupt nicht zu mir passt, hatte noch nie auch nur im entferntesten heimweh, aber war auch noch nie so lange so weit weg in einem so fremden Land.
Und es ist schon anstrengend; francois und ich haben festgestellt, das wir daheim nie so viel schlafen wie hier. Liegt wohl daran, dass einem rein koerperlich das Klima, die ungewohnte Ernaehrung, Dreck, Luftverschmutzung, Unhygiene, Chaos etc schon zu schaffen machen, auch wenn's einem jetzt nicht so auffaelt.
Aber den Indern geht's auch nicht anders, ist irgendwie beruhigend dass auch die Inder oefters mal Verdauungprobleme oder sowas haben. Und es kommt hier gar nicht mal so selten vor, dass Leute an Lungenentzuendung, Grippe, Malaria etc sterben, einfach weil viele aermere Inder durch harte koerperliche Arbeit und Mangelernaehrung in so schlechter Verfassung sind, dass sie Krankheiten nicht ueberleben, die einen Europaer nur ein paar Tage Bettruhe kosten.
Aber meinem Magen geht's wieder Klasse, mittlerweile schmeckt mir auch der company lunch richtig gut, ist auch nicht so fettig oder suess, meistens nicht so scharf, und typisch indisch und meistens doch lecker. Besteht immer aus:
Reis, Rotis (Pfannkuchen-artiges brot), gebratenes Gemuese, Dhal (Sosse/Eintopf aus Linsen, Bohnen oder sowas), Salat (Gurken,karotten, Zwiebeln) und einer suessen oder suess-sauren Sosse.


Hab im September mal mitgeschrieben, was ich so Geld ausgegeben hab. Hab's tatsaechlich geschafft, im September schockierende 30 000 Rupien auszugeben, das sind 600 Euro und damit genauso viel wie in einem Monat in Deutschland.
Allerdings sind davon 120 die neue Festplatte, 100 Euro der Roller, 40 Euro Buecher fuer die Uni, 100 Euro fuer Kleidung (hatte wenig dabei, und ist einfach billig hier)

Die normalen Ausgaben sind sehen so aus (Rs 50 = 1 Euro):
Rs 1400: Miete,Strom,Gas,trash,maid
Rs 2000: Essen (spottbillig) ,Drogerie(Klopapier, Deo etc ist alles teuer), Anschaffunge fuer die flat (Putzmittel,
Bratpfanne,..
Rs 2300: Restaurants (dinner und lunch,sollte sich dank billigem company lunch im Oktober mindestens halbieren)
Rs 1000: Rikschafahrten, faellt durch den eigenen roller in zukunft auch weg
Rs 3000: Jede Menge Buecher, CDs, Videos, Zeitschriften
Rs 400: Kino, Internetcafe
Rs 1500: Reisen, Souvenirs

Werde also im Oktober mit copany lunch und ohne Kleidung oder Buecher zu kaufen, und abgesehen von Reisen mit den 5000 Rupien Gehalt (okay, 4500, abzueglich der paar Tage wo ich krank war) so ziemlich hinkommen.
Was immer noch gelegentlichen Luxus wie importierte Lebensmittel oder Drogerieprodukte einschliesst; es gibt auch Leute die bei ngo's arbeiten und kein Geld von zu Hause bekommen, man kann hier auch von 50 Euro im Monat leben.

[Montag]

Mann, bin ich heute mal wieder spektakulaer muede, jedenfalls viel zu muede, um klar denken und bei meinem Projekt weiterkommen zu koennen. Nach dem divali-urlaub mal sehen, ob's mir frisch erholt besser geht; fuehl mich momentan ziemlich geschlaucht von der Arbeit.
Glaube, wir vigorsoft-technical-praktis sind hier die einzigen, die richtig zu tun haben; die ngo-development-leute arbeiten eh meistens mehr so auf eigene Faust und setzen sich ihre eigenen Ziele und Arbeitszeiten, und die meisten management-trainees klagen ueber Zwang zur Zeitverschwendung. Ist ja gut so, kann nur immer wieder erwaehnen wie viel ich hier lerne (wuerde mal sagen, auf jeden Fall mehr als im letzten Semester Uni), ist nur anstrengend, laufend mit Sachen zu arbeiten, die man gerade erst gelernt hat und jetzt relativ anspruchsvoll anwenden soll.
Aber ansonsten fuehl ich mich gut eingelebt; komm in der Mittagspause jetzt immer mit harendra zum quatschen, der bringt mir im Gegenzug fuers deutsch hindi-woerter bei, quatsch dann immer mit Mayur, der auf der Treppe eine raucht, waehrend ich mich in die Sonne setze und dern Rest der lunch hour Zeitung lese. Und gestern hab ich's tatsaechlich geschafft, den Wasssermelonen-verkaeufer um 30 rupien runterzuhandeln; weiche Leuten mittlerweile instinktiv nach links aus, beim internetcafe und dem drogerieladen im die Ecke kennen sie einen schon, fuehl mich mittlerweile in Baroda richtig integriert.
Gehoert sich auch so, bin schliesslich seit Thomas' endgueltiger Abreise vor ein paar Tagen und nachdem die "alte Generation" in den letzten Wochen komplett abgereist ist "grandfather" (prakti mit der laengsten Anwesenheitszeit in Indien).

Was ich auch mal erwaehnen muss, ist dass krimialitaet zumindetst fuer mich hier kein Problem ist. Natuerlich muss man auf Taschendiebe, Betrueger und sowas aufpassen, und es kommt auch mal zu unangenehmen Situationen, wenn man z.B. auf dem Heimweg von der Arbeit mal falsch abbiegt und sich dann im Dunkeln in einem Slum wiederfindet. Aber man kann problemlos nachts alleine durch die Strassen gehen, ohne Angst haben zu muessen, ueberfallen zu werden. Die weiblichen Trainees beschweren sich oefters ueber verbale oder im Gedraenge auch mal handgreifliche Belaestigung durch Maenner, aber das ganze Frauenbild, Geschlechterrollen etc ist wieder ein ganz anderes umfangreiches Thema.

This page is powered by Blogger. Isn't yours?