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Um was geht's hier? Berichte und Photos von meinem Aiesec-Praktikum 2003 bei Vigorsoft in Baroda (Gujarat, Indien).
Die Photos finden sich unter dem links rechts.
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07 Oktober 2003

Heute ein etwas konfuser Post, einfach Sachen, die sich die letzten zwei Wochen in meinem "posts-die-ich-schreibe-wenn-ich -in-der-Arbeit-auf-was-warten-muss"-textfile angesammelt haben:

Mann, bin ich jetzt (Samstag, 17:30) muede, wird hoechste zeit fuer den freien Sonntag. War gestern mit francois, matthias und yukari im Kino, und nachdem hindi-filme deutlichlaenger dauern erst um ein uhr zurueckgekommen.
Und gestern bis um halb zwei auf der Abschiedsparty von sim und klara gewesen, und dann daheim noch verratscht.
Dafuer geht's meinem Verdauungstrakt wieder besser, eine halbe Stunde lang noch nicht einschla..f....e.....

War gestern abend noch mit Louise beim Shopping, in einem richtig schicken, mittelgrossen, sauberen, teuren Kaufhaus, das neu eroeffnet hat. Viel Geld ausgegeben (knapp 4000 Rupien, das ist fast ein Monatslohn), andererseits waren z.B. umgerechnete 25 Euro fuer eine Levi's jeans... Schoen wenn man Geld ausgeben kann und dabei spart!
Ausserdem hat Louise zugegebenermassen einen guten Blick fuer Mode.

Hab mir auch einen dicken Stapel an Standard-inormatik und bwl-buechern fuer die Uni gekauft. Die sind hier oft auf duennerem, dunklerem Papier gedruckt, kosten dafuer aber auch so zwischen 300 und 500 Rupien, selbst wenn ich nochmal so viel fuers schicken dazurechne kommt das auf weniger als ein drittel des europaeischen Preises.

War am Mittwoch in Ahmedabad (Haupstadt von Gujarat), nicht sooo viel davon gesehen, bin kurz vor zwei angekommen (ja, der bus von Baroda nach Ahmedabad braucht fuer ca. 120 kilometer wirklich fast drei Stunden), dann mit Katrin, die ich vom Xps-seminar kenne, und die jetzt in Ahmedabad ist, und einem trainee-kollegen zum lunch getroffen (das erste Subway das ich ausserhalb der usa gesehen hab; sehr lecker und sehr teuer (ein groesseres Sandwich 120 Rupien, und sehr amerikanisch).

Dann noch etwas im Crossword gestoebert (kette von groesseren buchlaeden, gibts in baroda auch , aber kleiner, hab mir ein paar amerikanische Zeitschriten mittgenommen) und dann den GMAT abgelegt. Da waren abends noch jede Menge Leute,die Inder sind alle ganz versessen darauf, im Ausland, und insbesondere den usa zu studieren; die waren natuerlich alle ganz amuesiert, dass ein europaer zum gmat-schreiben nach Indien kommt. War in Ordnung (710 Punkte auf einer Skala von 300 bis 800, das würde auch für Harvard reichen).

Hab mail von Julia bekommen, sie meint dass es sehr merkwuerdig ist, wieder in Deutschland zu sein, dass es schwieriger ist sich in der gewohnten Umgebung wieder zurechtzufinden; wenn man nach Indien kommt erwartet man, dass alles anders und seltsam ist; wenn man dagegen nach Deutschland zurueckkommt erwarte man nach Hause zu kommen, ohne daran zu denken, dass man selber nicht mehr derselbe ist wie vorher, und dass die vertraute umgebung evtl ganz anders wirkt, und vielleicht Probleme hat, sich an die Veraenderungen seines Charakters zu gewoehnen...aber wie kann eigentlich jemand erwarten, dass ein paar Monate Indien einen nicht veraendern?
Merke das auch an mir selber; zum einen gewoehnt man sich (nur zum Teil natuerlich) an die Art, wie das Leben in Indien ablaeuft, zum anderen ist es einfach die Situation, in einer fremden Situation mit fremden Leuten zusammengeworfen zu werden, die einen veraendert. Man achtet z.B. sorgfaeltiger darauf,was man sagt und wie man handelt, und wie das auf andere wirkt,weil man sich einfach bewusst ist, dass selbst die Leute, die einem hier vertraut sind, wie z.B. die flatmates, aus ganz anderen Kulturkreisen stammen, ganz andere Ansichten haben etc.
Man kommt mit *sehr* unterschiedlichen Charakteren zusammen, und das ist gut so, man muss nicht alle Ansichten gutheissen, oder alle Leute moegen, aber es wird einem einfach bewusst, dass ein guter Teil seiner persoenlichen Vorstellungen, Werte, Gewohnheiten etc halt kein Naturgesetz sind, sondern einfach nur Ansichten, die genauso gut auch anders ausfallen koennen.
Und andererseits gibt es dann auch wieder Sachen, die einfach strange bleiben; weiss nicht mehr, wer das gesagt hat, aber es stimmt: "There's culture, and then there's stuff that's just silly".
Das ganze erweitert einfach die geistigen Scheuklappen, und mann tut sich schwer, Leute zu verstehen, die die eigenen willkuerlichen Vorstellungen fuer gegebene Tatsachen halten. Schaetze, das ist auch der Grund, warum ich mich mit sehr religioesen Leuten schwer tue: Religion neigt genau dazu, sehr willkuerlich gesetzte Werte und Grenzen als fixe gegebene Tatsachen zu behandeln. (Was jetzt nicht heisst, dass ich was gegen Religion haette, ich hatte z.B. mit dem Vertreter des Ashrams, der uns was zu Sri Aurobindo und indischer Spriritualitaet erzaehlt hat, eine sehr interessante Diskussion, weil er eben nicht seine Ansichten fuer die allein seligmachenden hielt.)
Was mir noch auffaellt ist, das man sehr staerker auf andere Leute achtet, man passt z.B. darauf auf, dass sich neue Leute wohlfuehlen, weil man weiss, wie hilflos man die ersten Tage selber war, man freut sich, wenn man eine Moeglichkeit findet, anderen weiterzuhelfen etc Und gerade weil man es gewohnt ist, auf Zwischentoene zu achten (auch eine Nebenwirkung der eher impliziten indischen Art) , ist es eher merkwuerdig, wenn es jemand anders nicht tut, wenn z.B. jemand aus Deutschland anruft und auch den zweiten Hinweis, dass es jetzt eher unguenstig ist ignoriert.
whoa, personal stuff :)

Antwort eines Inders auf die frage, warum man Kaffee nicht *ohne* tonnenweise Milch und Zucker brauen kann: "aber nein, das machen die armen Leute!".

Nachdem Marian (der slovakische vigorsoft-trainee) sich die umgerechnet 1-3 Euro fuer ein Mittagessen in New Alka nicht leisten kann oder will (die osteuropaer haben sehr viel weniger Glueck mit dem Umrechnungsfaktor zu indischen Rupies als wir in Euroland) haben wir seit zwei Wochen immer den "company lunch", das ist von der Kantine geliefertes, sehr maessiges Essen (ueblichersweise Reis, labbrige Rotis, Salat und zwei scharfe undefinierbare Gemuesesossen. na ja, ist billig, macht satt. Und gesuender als das fettige Restaurantessen.
Wir westlichen Praktis haben wirklich Glueck mit dem Wechselkurs, fuer die Leute aus z.B. Osteuropa sind die Lebenshaltungskosten gar nicht so guenstig.

Letzten Sonntag in Ellora 5 getroffen, um bei einer gemuetlichen brunch den gandi-film anzuschauen, zumindest war das der Plan. die brunch hat sich dann etwas laenger ausgedehnt (Obstsalat, Pfannkuchen, und was-die-Leute-mitbrachten), bis endlich der (gemietete) Modell-70er-Jahre-Fernseher und der (ebenfalls gemietete) videoCD-player (ja, das gibt's hier wirklich; video-cds sind billiger und deshalb hier viel beliebter als dvds, vhs-video gibt's gar nicht) eingetroffen sind. Und dann hatte der Fernseher natuerlich keinen Video-Eingang, wir haben trotzdem ein Bild gesehen, wenn der stecker nur in der Naehe war, echt strange.
Leider war der Film dann auf Hindi, aber wir waren eh alle beim quatschen oder schlafen. War nett als gemeinsames einen-ruhigen-Sonntag-geniessen.

War gestern abend wieder fit genug, um zum united way-navtratri garba zu gehen. (Uebersetzung: Navratri=tanzfestival, garba=einzelne Veranstaltung, united way=gemeinnuetzige Organisation, veranstaltet die groesste und teuerste garba).
Der Abend wurde ein gutes Beispiel dafuer, dass flexible indian-style organisation auch in die Hose gehen kann: Jeder hat jeden gegenseitig verfehlt, im Gewusel haben sich die Gruppen verloren, niemand wusste, wo wir eigentlich hingehen, und wie man da hinkommt, und dann hab ich auch noch den Schweizer, der auf meinem Scooter mitgefahren ist, in der Menge verloren. Der Arme ist neu angekommen, und zu Besuch aus Ahmedabad, sprich er kennt sich hier kein bisschen aus, hoffe er hat's dann geschafft, zu einer der trainee flats zu finden, konnte ihn beim besten Willen in der Masse der mehreren zehntausend Feiernden nicht mehr finden.

Montag

war am Wochenende mit Carmel, Johanna, Aluzio und Andrey (die beiden letzteren neu angekommen aus Brasilien und Venezuela)in ahmedabad, um Gandi's ashram zu besuchen. Sind Samstag abends losgefahren (drei Stunden Zugfahrt in general class = ungepolsterte Holzbank, zugfahren ist aber trotzdem eigentlich immer nett, man faehrt eigentlich nie irgendwohin ohne mit den Nachbarn ins Gespraech zu kommen, und auf jedenfalll bequemer als Busfahren), erst mal am Bahnhof rumgesessen, weil die Organisation, uns am Bahnhof abzuholen erstmal nicht geklappt hat, und dann zur party eines kalifornischen Kollegen eines der trainees in Ahmedabad, den wir bis jetzt nicht kannten und der das Ende seines Praktikums bei einer NGO feierte. Nachdem Alkohol in Gujarat illegal ist haben wir mitgeholfen, die Beweise zu vernichten. Sind dann irgendwann in den Morgestunden alle auf dem Dach eingeschlafen.

Dementsprechend am Sonntag erst gegen Mitag losgezogen. gandi's ashram ist echt nett; nichts spektakulaeres, man sieht halt die wohn- und schlafraeume (sein Zimmer war sehr kahl, mit einer Matratze, einem Spinnrad, einem Regall und sonst nichts), saemltliche weltliche Besitztuemer gandi's (ein holzteller, ein Metallteller, zwei loeffel etc, passt alles in eine Vitrine), eine kleine Ausstellung mit Photos und Schriften aus seiner Zeit dort etc.
Und sehr entspannende Athmosphaere, schoene Aussicht ueber den Fluss etc.
Sind dann noch in Calico textile museum, wo religioese auf Stoff gemalte Wandbehaenge gezeigt werden. Fand ich eher langweilig; eine Fuehrerin mit schriller stimme hat halt mehr oder weniger "und hier sieht man Festival X fuer gott Y, mit einer Szene aus der Geschichte des Koenigs Z" bei jedem Wandbehang erzaehlt. Aber schoen waren sie zugegebenermassen schon, und das Haveli (prunkvolles altes Haus reicher Haendler) des Museums ist echt beeindruckend, mit Schnitzereien, Mosaiken im Fussboden etc, und das ganze liegt in einm botanischen Garten mit Palmen und Springbrunnen.

Die Rueckfahrt im Zug war dan eine echte indian experience; sind gerade rechtzeitig zum Zug gekommen als er schon dabei war abzufahren, dementsprechend einfach in einen beliebigen Waggon gestiegen statt die general class (die billigste Klasse [70 cent einfach fuer 130 km], und die einzige die man problemlos ohne Reservierung noch kurz vor der Abfahrt kriegt) waggons zu suchen (indische Zuege sind *sehr* lang, mit einem halben Dutzend Klassen).
Sassen also in two tier ac auf dem Gang. Nachdem wir dort weder viel Platz noch die richtigen Tickets hatten sind wir beim naechsten halt ausgestiegen, zum richtigen waggon gelaufen und uns dort waehrend der zug wieder losfuhr ans Gelaender gehaengt und in den Waggon reingedrueckt. Carmel ist in Panik geraten, da sie Angst hatte, die ganze Fahrt ueber sich aussen am Gelaender festhalten zu muessen, die musste ich ansschreien, um ihr klarzumachen, dass sie nicht ohne Fahrkarte oder Fahrplan auf einem unbekannten Bahnhof im Nichts zurueckbleiben kann. Haben uns dann erfolgreich in den Zug reingedrueckt, und der Zug war dann *voll*, und mit voll meine ich nicht, dass saemtliche Sitz- und Stehplaetze besetzt waeren, sondern dass selbst mit Gewalt keine fuenf Leute mehr in den waggon gepasst haetten und man froh ist, nicht zerquetscht zu werden, wenn der chai-verkaeufer, bettelnde Transvestit etc sich durchdrueckt.
Als einer der Tee-Verkaeufer dann einen Besoffenen mit der heissen Kanne beruehrt hat, hat der ihn verpruegelt, und es sah kurz so aus als wuerde sich daraus eine Schlaegerei-und-Massenpanik entwickeln, das war der erste Moment in Indien bei dem ich wirklich Angst hatte dass was passiert, insbesondere nachdem Aluzio (neu in Indien) und Carmel (klein und zierlich) dabei waren.

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