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Um was geht's hier? Berichte und Photos von meinem Aiesec-Praktikum 2003 bei Vigorsoft in Baroda (Gujarat, Indien).
Die Photos finden sich unter dem links rechts.
Und wen mein ganzes Geschreibsel interessiert, der klickt auf die "archive"-links am rechten Rand oben; auf der Hauptseite erscheint nur der aktuelle Monat.

29 August 2003

Dienstag

Heute in der Zeitung: schwerer Bombenanschlag in Mumbai, vorgestern waren da noch ein paar reisende Aiesec-Trainees.
Wird in Verbindung gebracht mit den Gujarat-riots von 2002, da muesen sich Muslims und Hindus uebel in die Haare gekriegt haben, hmm.
Um alle zu beruhigen: Mumbai ist 300 km weit weg, kein Grund zur Panik hier.


Wieder beim Arbeiten, und natuerlich scheint heute ganz wunderbar die Sonne... Ist auch besser so, gestern eine Zeitung gekauft (bin beim Bahnhof vorbeigekomen, so ziemlich der einzige Ort in Baroda, an dem ich bis jetzt einen Zeitungsverkaeufer entdeckt habe; kostet uebrigens 1 Rupie und 50 Paise, das sind 3 cent...), da standen dann alle moeglichen schoenen Stories drin, wie z.B. dass die Daemme von Ratten bewohnt und deshalb loechrig sind, so dass gestern die Schleusentore geoeffnet wurden, was z.T. zu krassen Ueberschwemmungen in der Stadt gefuehrt hat.
Hatte nach einer neuen Notebook-Festplatte gefragt; die Anwort war, dass die aus Ahmedabad kommen muss, da ist das Wetter genauso, dementsprechend kann es sein, dass sie morgen kommt, kann aber auch sein dass sie gar nicht kommt...


Gestern wieder mal beim Police bhavan zwecks Registrierung; der eine Beamte liess mich erst mal eine dreiviertelstunde warten, waehrend er rein gar nichts gemacht hat, der andere gab mir dann den ueblichen vigorsoft-nicht-anerkannte-Organisation-bullshit, schickte mich dann drei Strassen weiter zum Passkopieren, und war dann so gnaedig, meinen Antrag mal an welche-andere-Stelle-auch-immer weiterzuleiten; naechte Woche muss ich wieder hin, grrrrrr.

Hab keinen Internet-Zugang am Arbeitsplatz; nicht dass ich drauf aus waere, Zeit zu vertroedeln, weiss mich momentan gut zu beschaeftigen, aber es nervt, wenn ich jedesmal, wenn ich was job-bezogenes im Netz suchen muss, den PC im Gang hochfahren muss, der dazu gedacht ist, mal schnell die privaten mails zu checken. Um es mit Thomas' Worten zu sagen:"Ich weiß, dass das nicht wirklich sinnvoll ist in ner softwarefirma kein internet zu haben, aber that’s India."

Vermisse mein Klavier, oder ueberhaupt sonst irgendeine Form von Musikinstrument. Es gibt hier auch null Musikgeschaefte, auch keine Kneipen (die sowieso nicht, gibt ja keinen Alkohol, und Ausgehen ist in Indien generell nicht ueblich) oder sonstige Plaetze fuer lokale Bands oder sowas.
Uebrigens auch keine Sportvereine, abgesehen von einem Yoga-Zentrum (da geht Julia immer hin, ist aber nichts fuer einen Nichtspirituellen Grobmotoriker wie mich) und einem Fitnessstudio.

Mittwoch

Seit gestern aben wieder heftiger Regen, so ziemlich alle Strassen ueberschwemmt (nicht wirklich heftig, aber in der Mitte der Strasse steht halt das Wasser, und man darf am Rand im Matsch rumlaufen), etliche Bruecken ueberspuelt, Unterfuehrungen unpassierbar etc.

Ach ja, auf Louise's Wunsch muss ich das der Welt mitteilen:
Gestern abend vom huebschesten daenischen Maedchen in Baroda zum Essen eingeladen worden.

Was ich auch mal erwaehnen muss: Die Gemeinschaft der Trainees allgemein und in unserer flat im besonderen ist wirklich super; es ist erstaunlich welch unterschiedliche Charaktere zu einem Praktikum nach Indien kommen, manche arbeiten die meiste Zeit und fahren dann heim, andere machen Entwicklungshilfe bei einer NGO und reisen staendig (was ein development traineeship jetzt nicht abwerten soll, ich hab hoechsten Respekt vor den Leuten die in die villages rausgehen, wo die Verhaeltnisse noch ein gutes Stueck "indischer" sind, und das meistens ohne Unterstuetzung oder Bezahlung. aber ist halt meistens von Arbeitszeiten etc her auch relaxter als ein praktikum bei einer company.)

Aber ich denke jemand er nach Indien faehrt um hier laengere Zeit zu leben ist per definition tolerant und offen fuer neues, dementsprechend ist die Gemeinschaft hier wirklich toll, die allermeisten Leute sind wirklich sympathische interessante Menschen. Die meisten Abende ist was von den Trainees organisiert, z.B. ein "social issues" abend, an dem ueber einen bestimmten Aspekt der indischen Gesellschaft diskutiert wird, oder eine Laenderpraesentation, eine Geburtagsparty, leaving dinner...
Ist auch gut so, nachdem von Aiesec Baroda sehr, sehr wenig kommt. Ist kein Problem, gibt genuegend Trainees, die schon laengere Zeit hier wahren und einme erklaeren koennen wo was ist und wie's hier funktioniert, aber vom Aiesec-LC kam eigentlich gar nichts an Hilfestellung, Aktivitaeten o.ae.

Mal wieder was zum Thema "Louis's Abenteuer in indian-style hr":

Ihr Chef hat gerade zu ihr gesagt, es waere Zeit, sich wie ein hr-manager zu verhalten, das heisst nicht jeden anzulaecheln oder zu gruesen, und Freundschaften sind was, das man ausserhalb des Arbeitsplatzes pflegt. Ist halt der typisch altmodische der chef da oben der Rest da unten-Blickwinkel der hier wirklich ueberall verbreitet ist.

Die Fortsetzung der fire procedure-story:
Louise hat das ganze Mr. Atul vorgetragen (dem boss), der hat dann simmgemaess gemeint, da habe er noch gar nicht
drangedacht, jetzt weniger wegen der Leute, aber was wenn sie die ganze geschriebene Software verlieren...
Ach ja, Jerry (ein wirlich sympathischer halb-portugiese, der schon laenger bei VigorSoft ist und mit dem sich Louise recht gut versteht) hat gemeint, VigorSoft ist als Arbeitgeber hier attraktiv, weil sie gute Loehne zahlen, und das Mangagement und die Arbeitsbedingungen seien immerhin besser als bei den allermeisten anderen Firmen. Hmm.

Die Firma hat momentan drei grosse Auftraege amerikanischer Firmen laufen, ist deshalb auf der Suche nach zehn neuen Programmierern (derzeit knapp dreissig oder so, dazu die Teamleiter, drei Leute, die sich ums interne Netzwerk etc kuemmern, ein hr-,ein finance-typ, ein chef, eine rezeptionistin und zwei office boys).
Dementsprechend hat Louise momentan den Auftrag, die von Hochschulabgaengern eingeschickten Lebenslaeufe anzuschauen
und interessante Bewerber auszuwaehlen; natuerlich ohne irgendwas ueber die angegebenen Qualifikationen (Programmiersprachen etc) zu wissen, und erst Recht ohne entsprechende Vorgaben der Firma.

zum Thema Englisch: bin mir nicht sicher, ob das hier besser wird, einerseits redet und denkt man den ganzen Tag in englisch, andererseits haben die allermeisten Inder und auch die meisten aiesec-trainees ein englisch zwischen gebrauchsfaehig und grauenhaft. (bis auf die Leute, die englisch halt als Muttersprache haben, oder mal laenger in einem englischsprachigen Land gelebt haben).
Man lernt aber recht schnell, sich dem Gegenueber anzupassen; bei vielen Inder ist man besser dran, wenn man saemtliche
slangausdruecke oder komplizierteren Formulierungen vermeidet, man sagt verwendet dann z.b. halt nicht woerter wie claim, state, oder mentioned, sondern sagt einfach say.
Dafuer kriegt man wirklich jeden Akzent mit, von Louise's very british ueber lateinamerikanischen, osteuropaeischen, japanischen bis zum zum Teil wirklich heftigen indischen war-das-jetzt-Hindi-oder-Gujarati-oder-vollkommen-unverstaendliches-englisch-Akzent.

Allgemein ist Indien laengst nicht so englischsprachig, wie man vielleicht denken wuerde. Jeder Mangager, Ingenieur, Student etc sprich englisch zwischen alltagstauglich und perfekt, aber man darf nicht vergessen, das nur die absolute Minderheit in der Lage ist, zu studieren, das ist ein viel groesseres Privileg als in Europa. Auf der Strasse sprechen alle, die mit Indern aus anderen Landesteilen in Beruehrung kommen (Ladenbesitzer, Zugschaffner etc) einigermassen englisch, aber abseits davon muss man schon mal suchen, bis men jemand findet, den man auf englisch nach dem Weg fragen kann.

Es gibt schon relativ viele Leute, gerade in der Oberschicht, fuer die Englisch quasi die Muttersprache ist, und die dementsprechen perfekt sprechen (oft sogar gewaehlter, more sophisticated, zum Teil auch etwas altmodisch gedrechselter) als Englaender selbst. Andererseits passiert es so gut wie nie, dass man Inder im taeglichen Leben in der Familie, im Restaurant etc untereinander englisch sprechen hoert.

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